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Auf dem ersten Platz der Krankschreibungen in Unternehmen stehen inzwischen Stresserkrankungen. Der deutliche Anstieg von 20 Mio. Fehltagen durch Stress auf inzwischen 30 Mio. in nur vier Jahren ist alarmierend. Wir fragen den Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Stressdiagnostik und Prävention, Daniel Pusch, wie Firmen gut für ihre Mitarbeiter sorgen können und was das alles mit einem kleinen, nervösen Feuerwehrauto zu tun hat.

Die Zahl der stressbedingten Erkrankungen steigt unaufhörlich. Warum ist das so?

Daniel Pusch: Unser Stresssystem mag Komplexität nicht. Das Leben aber ist komplexer geworden. Innerhalb und außerhalb des Berufes. Die Zahl an Fragen, die Menschen zu beantworten haben, ist exponentiell gestiegen. Zudem finden sich Menschen vermehrt in der Rolle der Selbstverwirklichung wieder, man sieht sich als Kurator und Architekt des eigenen Lebensentwurfes, der wiederum erfolgreich sein soll – das ist anstrengend.

Setzt der Druck in den Unternehmen den Mitarbeitern zu?

Zunächst einmal: der übliche Verdächtige, nämlich der Arbeitgeber, ist lange nicht der einzige Verursacher von Stress. Ganz im Gegenteil: unsere Untersuchungen zeigen, dass eher die Gesamtheit moderner Lebensentwürfe verantwortlich ist.

Dem Stress entfliehen - Arbeiten im Freien am See
Menschen finden sich vermehrt in der Rolle der Selbstverwirklichung wieder, man sieht sich als Kurator und Architekt des eigenen Lebensentwurfes. Photo by Pixabay
Konkret heißt das?

Wir sind anthropologisch noch immer Homo Sapiens, leben aber heute als Homo Oeconomicus. Wir sind geschäftig und stets beschäftigt. Und das in einem Umfeld, das von Optimierung geprägt ist. Im Beruf geht es um die Optimierung von Produkten, Prozessen und Gewinnen. Wir selbst wollen uns auch stets optimieren, ob für die Karriere oder auch privat: fitter, gebildeter und schöner wollen wir sein. Mehr können, mehr leisten. Wir wollen unsere Kinder pädagogisch wertvoll erziehen und generell nichts dem Zufall überlassen. Die Stress-Hormon-Achse jedoch versteht das nicht – sie ist in ihrer urzeitlichen Konditionierung immer noch auf direkte Gefahrensituationen ausgerichtet. Bei komplexen Lebensfragen, was förderlich und was nicht förderlich ist, bleibt sie also lieber auch Stand-bye mit ungünstigen Folgen für die Gesundheit.

Aber war es früher leichter – doch eher wohl nicht?

Frühere Gesellschaften lebten unter dem Einfluss von Kriegen, Epidemien oder Hunger. Nein, schöner war das Leben nicht. Aber einfacher für das Stresssystem, denn die Belastungen waren konkretisierbar.

Und heute ist alles undurchsichtiger und weniger planbar?

Richtig: stellen Sie sich die Stressfunktion als Feuerwehr vor. Wenn es brennt, rückt sie aus und löscht. Danach fahren alle Feuerwehrwagen zurück in die Leitzentrale. Gefahr erkannt, Brand gelöscht. Alle Löschzüge parken und die Feuerwehrmänner entspannen.
Heute jedoch bleibt ein Einsatzfahrzeug ständig draußen und fährt die Straßen patrouillierend ab und schaut, ob es nicht doch irgendwo ein Schwelbrand wirkt oder Funken fliegen. Schließlich ist alles unkalkulierbarer geworden und es könnte sich etwas zum Schlechten entwickeln. Das macht Sorge und somit bleibt die Stress-Hormon-Achse dauerhaft aktiv. Wir wollen uns im Umfeld der stetigen Optimierung selbst fortwährend optimieren. Wir kommen nicht zur Ruhe – Stress wird chronisch.

Autos der Feuerweh auf Patrouille
Heute bleiben Einsatzfahrzeuge ständig draußen und fahren die Straßen patrouillierend ab und schauen, ob nicht doch irgendwo ein Schwelbrand wirkt oder Funken fliegen. Photo by Pixabay
Stress ist die Hauptursache für Fehlzeiten und das Problem wird größer. Was empfehlen Sie Arbeitgebern?

Zu einem auf Führung zu setzen, denn entsteht eine gute Führungskultur hat das unmittelbaren Einfluss darauf, wie produktiv Mitarbeiter sind und wie viel sie imstande sind zu leisten, ohne sich dabei zu verausgaben.

Und zum anderen?

Stressprävention für Mitarbeiter. Wir empfehlen das jedoch nicht mittels Trainingstagen oder Coachings. Das sind in der Regel teure Verlegenheitsmaßnahmen ohne bleibende Wirkung. Der Weg geht nur über individualisierte Angebote und eine Begleitung bis zum Ziel – also Gelassenheit und Resilienz. Auf eine Diagnose muss ein Report und die sich daraus ableitenden Übungen folgen. Abgestimmt auf jeden Einzelnen. Schließlich sind wir verschieden, so wie unser Stresserleben und –empfinden.

Aber wer soll hunderte, gar tausende Mitarbeiter individuell begleiten?

Da Heerscharen von ausgebildete Präventionsexperten nicht zur Verfügung stehen, führt der Weg nur über kluge web-basierte Lösungen.

Firmen stellen Ihren Mitarbeitern also web-basierte Lösungen und diese helfen sich dann selbst?

Ich sage lieber: sie sorgen so gut für sich selbst. Jeder lässt sich über einen Zeitraum hinweg coachen, damit positive Veränderungen auch greifen und sich nicht im Alltag verlieren. Jeder Mitarbeiter macht dies entlang eines eigenen Profils, seiner individuellen Stressoren und spezifischen Reiz-Reaktionsmuster auf Stress. Was den einen innerlich unruhig macht, lässt den Anderen entspannt bleiben.

Auf eine Stress-Diagnose muss ein Report und die sich daraus ableitenden Übungen folgen.
Auf eine Stress-Diagnose muss ein Report und die sich daraus ableitenden Übungen folgen.

Jeder hat sein eigenes Loch im Boot, durch das Wasser eindringt und dauerhaft das Rudern immer anstrengender macht, während das Boot langsam sinkt. Daher müssen Angebote bzw. die Übungen per Smartphone oder Hausrechner individuell sein. Entsprechend haben wie die Stresspräventions-APP Nordpol 900 konzipiert.

So eine kleine Reise führt dann in hektischen „Optimierungszeiten“ zu deutlich mehr innerer Ruhe, Gelassenheit und mentaler Stärke. Der äußerst positive Effekt auf die langfristige Gesundheit ist dann sozusagen noch die Kirsche auf dem Kuchen.

Das kleine rote Feuerwehrauto fährt dann also nicht mehr nervös durch die Straßen.

So ist es. Es parkt, keine Sirenen sind zu hören, alles ist entspannt.

Herr Pusch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Zur Person:

Daniel Pusch, Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Stressdiagnostik und Prävention
Daniel Pusch, Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Stressdiagnostik und Prävention

Dipl. Volkswirt Daniel Pusch ist der Gründer der Deutschen Gesellschaft für Stressdiagnostik und Prävention mbH in Köln.

Zusammen mit Hochschul-Instituten forscht er seit 10 Jahren zum Thema Stress im volks- und betriebswirtschaftlichen Kontext. Operativ fokussiert sich die Deutsche Gesellschaft für Stressdiagnostik und Prävention auf auf web-basierte Präventionsangebote für die betriebliche Gesundheitsförderung.

Weiterführende Informationen über web-basierte Lösungen erhalten Sie unter DGSDP.

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