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41,2 Wochenstunden – das ist laut Statista die durchschnittliche Arbeitszeit der Deutschen. Viele von ihnen verbringen diese Zeit in Büros und Co. als Festangestellte. Doch die Anzahl derjenigen, die ihren Lebensunterhalt als Selbstständige beziehen, wächst kontinuierlich: Während zu Beginn der 90er Jahre nur knapp 514 Menschen «selbstständig in freien Berufen» gemeldet waren, hat sich diese Anzahl bis zum Jahr 2020 nahezu verdoppelt. Aktuelle Zahlen gehen von 1.450 Mio. Selbstständigen im Jahr 2020 aus.
Woher kommt dieser Trend und gibt es bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die einen Angestellten von einem Unternehmer unterscheiden?
Schöne neue Arbeitswelt?
Zahlreiche Studien belegen: Unsere Arbeitswelt ist im Umbruch. Die linearen Strukturen der Industriegesellschaft brechen auf und machen den Weg frei für eine Wissensgesellschaft. Längst hat die «Fließbandarbeit» Sinnbild der reinen Produktivität ausgedient; alles dreht sich um Innovation und Digitalisierung. Einher mit diesem Wandel geht die Herausbildung neuer Arbeitsmodelle.
In deren Fokus rückt nach und nach der Mensch an sich – und zwar nicht als reine Arbeitskraft, sondern als ein Wesen, das mehr ist als eine Ansammlung von Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihn dazu prädestinieren, einen bestimmten Beruf auszuüben. «Sinn» ist das neue Zauberwort, und dieses ist eng gekoppelt an das, was wir als «Arbeit» verstehen. «Sein» und «arbeiten» bilden in gewisser Weise eine Symbiose.
Der Angestellte: Büro, Kollegen und feste Urlaubstage
Montagmorgen, neun Uhr. Die Kaffeemaschine läuft auf Hochtouren. In der Küche treffen sich die Kollegen. «Wie war dein Wochenende?», fragt einer. «Zu kurz», schmunzelt sie. Der feste Arbeitsplatz in einem Unternehmen entspricht einem eigenen Mikrokosmos: Es ist genau geregelt, wer wann was macht – und wieviel davon. Diese «Spielregeln» sind an bestimmte Rahmenbedingungen geknüpft wie beispielsweise die Anzahl der Arbeitsstunden, das Gehalt und die Urlaubstage.
Der Selbstständige: Café, Skype und flexible Arbeitszeiten
Montagmorgen, neun Uhr. Der Cappuccino wird serviert. Auf dem Tisch liegen die Kopfhörer für die Skype-Abstimmung mit einem Kunden bereit. «Kannst du uns da kurzfristig aushelfen?», steht in der ersten Mail. «Reicht morgen gegen Mittag?», tippt er. Der Arbeitstag eines Selbstständigen entspricht einer Klassenfahrt mit Teenagern: Einiges ist geregelt, Vieles improvisiert. Der Job ermöglicht Freiheiten – und damit die Möglichkeit, Arbeitstage, Arbeitsvolumen und Arbeitsorte immer wieder neu zu definieren.
Eine Entscheidung zwischen Sicherheit und Freiheit
Das Leben als Angestellter verspricht für Viele eine Form von Stabilität und Planbarkeit in zweierlei Hinsicht:
Inhaltlich:
Man weiß ziemlich genau, mit welchen Aufgaben man auf der Arbeit zu rechnen hat und welche Fähigkeiten man dazu einsetzen muss. Auch ist der eigene Kompetenzbereich meistens ganz klar von dem der Kollegin oder des Kollegen abgegrenzt. Von einer Krankenschwester beispielsweise wird niemand verlangen, dass sie eine Operation durchführt.
Finanziell:
Als Angestellter weiß man ganz genau, wie viel Geld am Ende des Monats auf das eigene Konto geht – und kann dementsprechend planen. Auch längerfristige Investitionen sind mit einer Festanstellung eher kalkulierbar. Feier- und Urlaubstage sind exakt festgelegt und nutzbar. Wochenenden sind – zumindest für viele, die in Büros oder Ähnlichem arbeiten – als Freizeit selbstverständlich.
Wer von Natur aus nach Ordnung und Planbarkeit strebt, wird sich im Modell der Festanstellung gut wiederfinden. Diese Arbeitsform bietet das Maß an Sicherheit, das der Großteil der Menschen zum Leben braucht. Sicherlich spielen auch hier Faktoren wie die aktuelle Lebens- und Familiensituation eine große Rolle. Alleinverdiener können sich das «Risiko Selbstständigkeit» oft schlichtweg einfach nicht leisten.
Anders sieht es beim Selbstständigen aus
Im Vergleich zum Festangestellten verfügt er nur bedingt über so etwas wie «Stabilität»:
Inhaltlich:
Selbstständige üben nicht nur den «einen» Job aus, sondern werden oft zu Spezialisten in den unterschiedlichsten Bereichen. Ein freier Grafikdesigner zum Beispiel muss neben den gängigen Grafikprogrammen auch mindestens ein Grundverständnis von Buchhaltung und dem Steuersystem haben.
Finanziell:
Selbstständige haben schwankende Umsätze. Es wird immer Phasen geben, in denen die Auftragslage so gut ist, dass man sogar mehr arbeitet als ein Festangestellter im ähnlichen Bereich, trotzdem muss man auch mit «Notzeiten» rechnen. Feiertage oder Wochenenden verlieren für viele Selbstständige an Bedeutung, wenn sie sich ihre Arbeitszeiten selbst wählen können. Auch Urlaubstage setzen und nutzen sie so, wie es die Auftragslage gerade zulässt.
Freiheitsliebende Menschen, die Unsicherheiten aushalten können und sich gerne auch in unbekannte Berufszweige einarbeiten, finden in der Selbstständigkeit meist größere Erfüllung als in einer Festanstellung. Sie schätzen es, die volle Kontrolle über ihr eigenes Business zu haben. Kundenakquise, Projektmanagement, Buchhaltung – für viele Selbstständige ist Eigenverantwortung die größte Motivation überhaupt.
Fazit
Ganz gleich, ob Arbeiten im Start-up oder Selbstständigkeit – Vor- und Nachteile bieten beide Formen der Beschäftigung. Eine darunter als die Richtige zu proklamieren, ist schlechtweg falsch. Vielmehr sollte man darüber nachdenken, was eine bestimmte Arbeitsform auszeichnet – und welchen menschlichen Eigenschaften sie entspricht. Entscheidet man sich für diejenige, die seinem eigenen Wesen am meisten entspricht, kann aus dem «arbeiten müssen» schnell ein selbstbestimmtes «arbeiten wollen» werden.