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Das Wissen und das Bewusstsein für eine gesundheitsfördernde Lebensweise sind in den letzten Jahren stetig gewachsen. Gesunde Ernährung, viel Bewegung, ausreichend Schlaf und möglichst wenig Stress sind eine gute Basis, um möglichst lange gesund und fit zu bleiben. Das wissen die meisten. Durch das Internet fühlen sich die Menschen zudem besser informiert denn je und nehmen ihre Gesundheit mit allen Vor- und Nachteilen zunehmend selbst in die Hand. Die Konsumausgaben im zweiten Gesundheitsmarkt, also die individuell finanzierten Ausgaben, machen mittlerweile fast ein Drittel der gesamten Konsumausgaben in der Gesundheitswirtschaft aus (Quelle: Statista). Einige Unternehmen erkennen, dass ein betriebliches Gesundheitsmanagement kein notwendiges Übel, sondern eine conditio sine qua non ist.

Neuer Höchststand bei Fehltagen durch psychische Erkrankungen

Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass die Zahlen eine ganz andere Sprache sprechen und den Eindruck erwecken, die Deutschen seien kränker denn je. Nach einem Tiefstand im Jahr 2007 ist der durchschnittliche Krankenstand in der gesetzlichen Krankenversicherung wieder kontinuierlich angestiegen und hat im Jahr 2022 mit 5,62% den höchsten Stand seit 1991 erreicht (Quelle Statista). Der Psychreport der DAK-Gesundheit 2022 weist für das Jahr 2021 einen neuen Höchststand bei Arbeitsausfällen wegen psychischer Erkrankungen aus und ein um 41% höheres Niveau der dadurch bedingten Fehltage als noch vor zehn Jahren.

Streichhölzer, einige sind abgebrannt, eins ist angezündet.
Entzünden, nicht verbrennen! Ein gesundes und motivierendes Arbeitsumfeld kann ein wichtiger Faktor für die Gesundheit sein.

Was läuft also schief? Warum führen all diese Investitionen nicht zum Erfolg, zu einer gesünderen Gesellschaft? Haben wir etwas übersehen? Oder haben wir eine Definition von Gesundheit, die nicht mehr zeitgemäß ist? Ging man früher noch von der einfachen Annahme aus, dass Gesundheit die Abwesenheit von Krankheit ist, nimmt heute nicht einmal mehr die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine begriffliche Abgrenzung vor: „Gesundheit ist kein eindeutig definierbares Konstrukt“, heißt es in den BZgA Leitbegriffen unter dem entsprechenden Stichwort.

Gesundheitsbegriff und Gesundheitsbewusstsein im Wandel der Zeit

Früher war die Gesundheit Mittel zum Zweck, indem der Produktionsfaktor Mensch unbedingt erhalten werden musste. Das mag übertrieben klingen, aber man denke nur an die Einführung von Webstühlen und Dampfmaschinen. Seither war der Verlust beim Faktor Menschen weitaus geringer zu bewerten als der Ausfall der Maschine.

Der Wandel der politischen Systeme hin zur Demokratie, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und aller Menschen hat diese Medizin anders geprägt, aber leider nicht zugänglicher gemacht. Zu Zeiten der Olympischen Spiele in München in den 70er Jahren entdeckte man das Fitnessprogramm und ein Eldorado für alle Selbstoptimierer, die dann noch im hohen Alter ihr Glück in Punktspielen im Tennis oder Altherrenfußball versuchten. Frei nach dem Motto ‚Wir können warten, bis der Gegner tot ist‘. Die Fitnesswelle war geprägt von Einheiten z.B. im bayerischen Fernsehen, zum Beispiel Skigymnastik, von der ich nicht sicher war, ob sie mehr schadet als nützt. Sie hat sich schließlich zu dem Begriff Wellness entwickelt, der mir weit besser gefällt. Ein erster ganzheitlicher Ansatz, bei dem es dem Menschen in der Einheit von Geist, Körper und Seele besser gehen sollte.

Im Gegensatz zu allen anderen politischen Bewegungen hat sich das gesamte Gesundheitssystem aber eher von einer Dreiklassengesellschaft zu einer Zweiklassengesellschaft entwickelt. Dass die Medizin dem Menschen zu dienen hat und nicht umgekehrt, ist zumindest im oberen Teil der Gesellschaft bis heute nicht angekommen. Nach und nach hat sich in der Gesellschaft durchgesetzt, dass es besser ist, Krankheiten zu vermeiden, als sie zu heilen, wenn sie einmal aufgetreten sind. Zumal sich die Medizin inzwischen von einer Heilkunst zu einer Reparaturkunst entwickelt hatte. Von einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen, des Körpers mit Geist und Seele, waren wir weit entfernt. Wir reparierten Module und brachten den Produktionsfaktor wieder in Gang.

Ein Stapel Tabletten im Vordergrund, im Hintergrund Obst und Gemüse
Krankheiten vermeiden, statt sie zu heilen: Wie hoch die Kosten für medizinische Behandlungen und deren ökonomische Folgekosten sind, wird noch immer zu oft unterschätzt.

Ich selbst bin über die Betrachtung des mineralischen Gleichgewichts für den Körper zu meiner eigenen Auffassung über Medizin gekommen. Es ging weder dem Arzt noch dem Kunden / Patienten um Heilung, sondern um schnelle Krankheitsvermeidung. Schnell und billig, das war wichtig. Inzwischen dämmert es dem einen oder anderen, dass die Kollateralschäden bei dieser Vorgehensweise immens sind. Natürlich sprachen wir immer noch davon, dass nur ein gesunder Geist in einem gesunden Körper leben kann, nur unser Ansatz war Lichtjahre davon entfernt. Das Nachdenken über das mineralische Gleichgewicht hat bei mir einen Mechanismus in Gang gesetzt, mich mehr mit Prävention zu beschäftigen. Und Prävention bedeutet immer auch, über Ernährung nachzudenken und damit, etwas ketzerisch, auch über Bioprodukte. Ich gehöre inzwischen zu den vielen Menschen, die der Subventionspolitik sehr misstrauisch gegenüberstehen. Wenn wir uns die Bioprodukte in Deutschland Österreich und der Schweiz anschauen, dann findet die wirkliche Bioproduktion in der Landwirtschaft vor allem in Österreich statt. Die österreichische Regierung ist mit Subventionen in der Landwirtschaft sehr vorsichtig umgegangen, im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz. In beiden Ländern hat man die Subventionen im Agrarbereich bis unter die Zugspitze beziehungsweise bis unter das Matterhorn befördert. Der Aspekt der Bodenrenaturierung als Grundvoraussetzung für den Biolandbau wurde mehr oder weniger aus den Augen verloren.

Mein holistischer Gesundheitsbegriff begann mit dem Einstieg in die Ernährungsberatung, um dann immer mehr zu erkennen, dass körperliche Gesundheit ohne seelische und geistige, also mentale Gesundheit, nicht möglich ist. So entwickelte sich unser Handlungsbild vom Pfadfinder zum Gesundheitsstrategen, die Entwicklung vom Einzelweg zum Gesamtbild unter dem Motto ‚Herzenssache Mensch‘. Es sind Konzepte, die unsere Kunden anleiten und dazu befähigen, selbst Lösungen zu finden.

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit

Wenn wir heute die Megatrends des Zukunftsinstituts betrachten – und wir haben im Folgenden einmal alle unsere Partner aus dem Netzwerk der GesundheitsStrategen und unseren Ansatz darin eingeordnet – dann müssen wir unter dem Thema Gesundheit auch Themen wie Individualisierung, Sicherheit, Konnektivität, die Lebenskenner (Silver Society), den Gender Shift, New Work, Neo-Ökologie und Urbanisierung mit betrachten. In diesen Feldern bewegen wir uns, das sind Aspekte unseres Gesundheitsverständnisses, von Holistic Health.

Das Netzwerk der GesundheitsStrategen übertragen auf die Health-Trend-Map 2022 des Zukunftsinstituts, Quelle: Zukunftsinstitut + eigene Darstellung.

Als ich mit meinen Mitbegründern Dr. Elke Marie Gand, Katrin Seemann und Edgar K. Geffroy die Arbeit der GesundheitsStrategen aufnahm, hatten wir uns auf die Bereiche Ernährung, Bewegung und Verhalten konzentriert. Damit schienen wir breit aufgestellt zu sein. Erst im Laufe der Zeit und vor allem durch die Pandemie beschäftigten wir uns plötzlich mit Themen wie Home-Office und Social Distancing und neue Aspekte einer gesunden Arbeitswelt kamen hinzu. Leider musste ich immer wieder feststellen, dass Home-Office mit New Work gleichgesetzt wurde. Eine Arbeitsform mit einer Arbeitsphilosophie gleichzusetzen, ist für mich ein Unding. Bisher haben wir immer von einer Work-Life Balance als Gesundheitsfaktor gesprochen. Eine Formulierung, die aber suggeriert, dass wir zwei parallele Leben in einem haben. Für mich hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass ein Leben ohne Arbeit und eine Arbeit ohne Leben nicht funktionieren. Damit haben wir die Schizophrenie der Work-Life-Balance zumindest für uns aufgehoben.

Scrabble Buchstaben verbinden die Wörter Familie, Arbeit, Leben und Balance. Drum herum Gegenstände aus dem Berufsleben wie ein Laptop und Stifte, und aus dem Privatleben, wie ein Schnuller und Babyspielzeug sowie eine Tasse Kaffee.
Integrieren statt Austarieren: Die Arbeitswelt ist Teil der Lebenswelt.

Mit den Krisen der letzten drei Jahre ist das Thema Resilienz in den Fokus gerückt und wir GesundheitsStrategen haben begonnen zu fragen, was die Menschen in den Unternehmen brauchen und was die Unternehmen selbst brauchen, um ein gesundes Unternehmen im umfassenden Sinne zu werden. Der Gesundheitstag mit kostenlosem Obstkorb oder der Kicker in der Abteilung als Symbol einer modernen Unternehmenskultur reichen nicht mehr aus. Notwendig ist es, den Menschen in seiner Ganzheit – Körper, Geist und Seele – zu erfassen und dabei aber auch sein soziales Umfeld, seine Persönlichkeit sowie prägende Einflüsse aus der Umwelt zu berücksichtigen. Dies kann nicht durch einzelne Maßnahmen erreicht werden. Vielmehr ist ein strategischer Ansatz erforderlich. Seit 2013 sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen durchzuführen, aber bisher führt nur ein kleiner Teil der Arbeitgeber diese auch durch. Der effektive Umgang mit den Ergebnissen steht auf einem ganz anderen Blatt.

Die Menschen wollen bis ins hohe Alter geistig und körperlich gesund leben. Aber nicht immer, und das gilt auch für mich, tun wir etwas dafür. Stattdessen klagen wir darüber, dass die Menschen immer älter werden, dass die Jungen die Alten nicht verstehen, dass die Alten die Jungen nicht wahrnehmen. Was wir brauchen, ist eine andere Art von Konnektivität, von Verbindungen unter den Generationen, zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Vor allem brauchen wir wieder eine Medizin, die in ihrem ganzheitlichen Verständnis auch das berücksichtigt.

So möchte ich zusammen mit meiner Sparringspartnerin Katja Anders versuchen, Ihnen näher zu bringen, was wir tun, und zu betonen, dass es Arbeitgeber, ob im öffentlichen Sektor, in kleinen und mittleren Unternehmen oder in Konzernen, ohne ein Verständnis von Holistic Health schwer haben werden. Gesundheit ist ein Teil der Nachhaltigkeit, die die Menschen schon lange für sich fordern, und das zu Recht. Aber mit der Gesundheit ist es wie mit der Jagd: Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen, sein natürlicher Instinkt muss ihn selbst mit Freude zum Jagen bringen.

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