Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten
Der nachfolgende Artikel mag Ihnen wie ein Sammelsurium an Themen erscheinen. Und tatsächlich sind es meine Gedankensplitter aus der letzten Zeit, an denen ich Sie als Leser teilhaben lassen möchte um gern auch, wenn Sie mögen, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich habe diese Gedanken bewusst aneinandergereiht, weil ich davon überzeugt bin, dass wir nicht umhinkommen, unterschiedliche Themen und Sachverhalte in ihrer Komplexität zu betrachten. Die Zeit des linearen Denkens ist vorbei, wenn wir den aktuellen Herausforderungen begegnen wollen. Wir als Unternehmer sind genauso gefordert, über den Tellerrand zu schauen, uns auch politisch zu äußern und sozial zu engagieren, wie die Politik und jeder Einzelne seinen Beitrag zu einem echten gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten muss.
Vor einigen Tagen durfte ich am Karrieretag der Interessenvertretung 50plus e.V. sprechen, mein Thema war New Work. New Work aber eben auch für die Menschen über 50. Bei der Formulierung ‚eben auch für über 50‘ fällt mir auf, dass ich meinen eigenen Gedanken entgegenarbeite. Ich rede über Proaging, ich rede über Alterslosigkeit und trenne doch selbst in die Kategorien über 50 und unter 50. Ich bemerke für mich, wie schwierig es ist ohne Schubladen und ohne fixe Kategorien zu denken und zu diskutieren. Tatsächlich wurde mir bei diesem Event eins noch klarer: Menschen verlassen die Betriebe nicht wegen der Bezahlung und der jeweiligen Arbeitssituation, sondern in den meisten Fällen, weil ihnen die Authentizität der Führung, eigentlich die Menschlichkeit in der Führung fehlt. Wir haben über die Zeit Spaß an der Arbeit mit Flippern und Kickern verwechselt. Teilhabe der Menschen an ihrer Arbeit war über Jahre überhaupt kein Thema. Es war auch nicht gewollt. Nun scheint sich dieses Blatt zu wenden.
Die Generation Z stellt die Arbeit zwar nicht mehr in den Mittelpunkt ihres Lebens, wie manch andere Generation vor ihr, allerdings wäre es auch ein Trugschluss zu behaupten, sie hielt Arbeit für nicht wichtig. Für sie steht nur fest, arbeiten und leben ist eins, es sind zwei Seiten derselben Medaille. Und Gott sei Dank endet damit die lange Work Life Balance-Schizophrenie. Es ist eine Generation, die etwas verändern möchte, die den Sinn ihres Tuns in den Mittelpunkt rückt.
Bewegungen wie Fridays for Future und Die letzte Generation machen mit ihrem Handeln klar, dass sich junge Menschen nicht außerhalb der Gesellschaft stellen, sondern sie wollen mahnen, wachrütteln und uns dazu bewegen, anders über unsere Welt und wie man sie schützen muss, zu denken. Leider vergessen Sie oftmals, dass es wenig bringt, Menschen mit dem moralischen Flammenschwert drohend zu mahnen und sich selber auf Wolke 7 zu begeben, um die armen Unwissenden bei ihrem törichten Leben von oben zu beobachten. Eigene Rechte enden immer dort, wo die Freiheiten des Anderen eingeschränkt oder sogar Menschen und Kulturgüter zu Schaden kommen. Das ist durch keine noch so gute Absicht zu rechtfertigen.
Ehrenamt und soziale Pflichtzeit: Teilnahme und Teilhabe an der Gesellschaft
Und dennoch brauchen wir mehr gesellschaftliches Engagement. Die Rede unseres Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier zum Thema Pflichtdienst für junge Menschen ist für mich die einzige wirklich historische Rede, die er hielt. Ich stimme ihm zu bei seinem Bild, dass Demokratie kein Discounter ist, in dem man sich eben mal ein Recht mitnimmt und ebenso eine Pflicht, und wenn einem beides nicht passt ist, man es einfach wieder zurückstellt ins Regal und sich etwas anderes nimmt. So funktioniert Demokratie nicht.
Die Midterms 2022 in den USA und die große Anzahl von Amerikanern, die wählten, zeigt, dass die Menschen den Extremen in der Politik, wie einem Donald Trump in Amerika oder der AfD in Deutschland nicht bedingungslos zugeneigt sind. Ich glaube, zumindest in Amerika, haben die Menschen begriffen, dass die Republikaner ohne Trump mehr Chancen gehabt hätten ihre „Rote Welle“ ins Rollen zu bringen.
Um auf den Pflichtdienst zurückzukommen, gebe ich ehrlich zu, war ich immer der festen Überzeugung, dass auch die Abschaffung der Wehrpflicht in einer Demokratie falsch ist. Als Bürger in einer Demokratie muss und sollte ich mich tagtäglich damit beschäftigen, ob ich diese Armee, in unserem Fall die Bundeswehr, wirklich haben will und wie ich sie haben will. Der Zustand der Bundeswehr heute ist ein typischer Auswuchs dessen, dass wir die Verpflichtung und das Denken über unsere Wehrhaftigkeit in eine Berufsarmee outgesourced haben. Aber es geht mir hier nicht um die rein militärischen Überlegungen, sondern auch darum, wie wenig Menschen für die Allgemeinheit oder eben für andere Menschen engagiert sind. Tendenziell ist das ‚sich Kümmern‘ bedauerlicherweise im Abnehmen begriffen.
Ich würde ein soziales Pflichtjahr oder lassen Sie mich sagen einen Zeitraum, der zur Pflicht wird, sowohl vor Beginn des Berufslebens als auch nach Ende des Berufslebens für richtig halten. Denn wenn wir ehrlich sind, je länger wir im Berufsleben stehen, desto mehr ziehen wir uns auch in unsere eigenen Lebenswelten Beruf und Familie zurück. Teilnahme an der Gesellschaft bedeutet Demokratie leben. Aber es geht nicht nur um Teilnahme, sondern um eine Teilhabe und die braucht Bildung.
Fördern und fordern: Im Bildungswesen, wie in der Sozialpolitik
Wir haben unsere Hauptschulen stiefmütterlich behandelt und zu Sonderschulen verkommen lassen, die Mittelschulen wenig beachtet und ein Schulsystem erschaffen, in dem möglichst alle studierfähig sein sollen. Verblüffend, weil in all den Jahren in den Pisa Studien der Bildungsstand in Deutschland bei den jungen Menschen bemängelt wurde, wir in Deutschland aber gleichzeitig mehr Studierende erreichen wollten. Wenn wir ehrlich sind, kann dies nur eines zur Folge haben: Wir richten uns leistungsmäßig in der Bildung nicht nach den Starken, sondern nur und einzig nach den Schwachen aus. Die Starken völlig zu vernachlässigen ist ähnlich asozial, wie einzig das Fördern der Schwachen. Wir müssen aufpassen, dass wir bei aller Berücksichtigung, Rücksichtnahme und Förderung unser Bildungssystem nicht verzerren. Nicht jeder junge Mensch ist studierfähig. Und das Handwerk ist keineswegs zweitklassig.
Betrachte ich die letzten Wochen, fällt mir immer wieder mein etwas sarkastisch gemeinter Spruch ein „operative Hektik verdeckt nur geistige Windstille“. Warum nur erinnert mich das an unsere derzeitige Bundespolitik? Ich bin voller Verständnis für die Hilfe für Menschen in schwierigen wirtschaftlichen Situationen. Ich bin voll in der Übereinstimmung, dass wir das Volk in der Ukraine unterstützen müssen und zwar in jeder Form, um mit dem russischen Aggressor fertig zu werden. Uns allen war bewusst, dass dies Geld kosten wird, aber ich habe kein Verständnis für das diffuse Gemurmel der Rechten und Linken und ihre Rechtfertigung von Putins Handeln. Leider wird dies einerseits durch die strategiefreie Politik der Ampel gefördert, andererseits aber auch durch eine konzeptlose Opposition.
Für mich ist der stärkste Ausdruck dieser Politik das für mich unsystematische Umsetzen des Bürgergeldes. Haben wir doch in vielen Fällen während der Pandemie festgestellt, dass Selbstverantwortung für Menschen ein Fremdwort ist. Wir sind uns doch alle bewusst: wenn wir für Leistungen keine Gegenleistung verlangen, verliert sie an Wert. Und zu guter Letzt bin ich gespannt, wie in dieser knappen Zeit ein gut konzipiertes Bürgergeld umgesetzt sein soll, waren doch die Agenturen für Arbeit schon mit der Eingliederung der ukrainischen Flüchtlinge überfordert. Die Einführung des Bürgergelds wird nicht weniger Aufwand bedeuten. Ich bin überzeugt, dass dieses Bürgergeld ein zu starkes Eingreifen der Politik in das Leben darstellt. Wir wissen weder, wie sich im Moment der Arbeitsmarkt entwickelt und entwickeln wird – beachten wir nur, wie viele Menschen aus dem Angestelltenverhältnis in die Selbstständigkeit wechseln, wie stark Künstliche Intelligenz den Arbeitsmarkt beeinflussen wird und wie schnell wir das Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft verändern müssen. Der Wechsel von einem quantitativen zu einem qualitativen Wachstum in der Wirtschaft ist ein immenser.
Deswegen ist es umso wichtiger sich um die Thema Bildung, Demokratie und Gemeinschaft zu kümmern, und zwar in ihrer Gesamtheit. Wir müssen mehr vom Ich zum Du zum Wir denken und „das stärken, was uns verbindet“, um mit den Worten unseres Bundespräsidenten zu schließen.
Über diese und andere Themen diskutieren wir, Sandro Wulf und Ralf Wuzel, auch in unserem wöchentlichen Podcast „Im Wechselspiel der Kommunikation“.
Hören Sie rein unter https://anchor.fm/pni oder auf allen gängigen Podcast-Kanälen.