Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Das Thema des heutigen Beitrags «Duzen» ist der Tatsache geschuldet, dass wir uns in vielen Unternehmen und auch in der medialen Landschaft in Zeiten einer sich ändernden Wirtschafts- und Arbeitswelt fragen, wie ein modernes Unternehmen in der Führung und am Markt aufgestellt sein sollte. In diesem Zusammenhang kommen Schlagworte auf, wie flache Hierarchie, lockerer Umgangston, Teamwork und Unternehmensteilhabe.

Diese vertragen sich nicht mit starren Anredeformen. Wenn die Parteien in flacher Hierarchie und gemeinsam an Projekten arbeiten, sich austauschen, dann ist ein gemeinsames «Du» als Unternehmensphilosophie etwas, was heute die modernen Unternehmen prägt. In den Start-ups ist das Standard. Es gibt jedoch gewachsene Unternehmen, die eben das Siezen, als Umgangsform etabliert haben.

Du oder Sie ist eine Frage der Unternehmensphilosophie

Für manche Unternehmen besteht dann nicht nur der Wunsch, sondern in gewisser Weise ein Zwang zu neuen Umgangsformen, wenn sie sich anders aufstellen wollen. Zum einen um die Talente zu gewinnen und zum anderen, weil Sie einen bestimmten Kundenkreis ansprechen wollen.

Bei diesen Unternehmen stellt sich dann die Frage:

  1. Kann ich als Unternehmen solche Strukturveränderungen vorgeben, indem ich sage, wir duzen uns jetzt nur noch?
  2. Gibt es Grenzen, indem die Mitarbeiter sagen können, nein das will ich nicht?
  3. Kann ich das als Unternehmer oder Mitarbeiter durchsetzen?

Es gibt zwei Urteile aus den 90er Jahren und diese sind miteinander verknüpft. Das Gericht der 1. Instanz – Entscheidung des Arbeitsgerichtes Rheine aus dem Jahr 1998 und des Landesarbeitsgericht Hamm. Dieses hat im Juli 1998 darüber ein Urteil gesprochen.

Persönlichkeitsrecht oder Menschenwürde?

Der Kläger war ein Mitarbeiter, der durch die Instanzen durchgeklagt hat, weil er nicht mehr geduzt werden wollte. Dieses Unternehmen, in dem der Kläger gearbeitet hat, wurde von einem neuen Unternehmen übernommen.

Der Anwalt des Mitarbeiters, schrieb dem Arbeitgeber,

[…] unser Mandant legt Wert darauf, dass korrekte Umgangsformen gewahrt werden und er sich nun mit denjenigen Freunden und Mitarbeitern duzen muss, die er hierfür auswählt. […]

Ein Aktenvermerk auf dem Schreibtisch zum Thema Duzen.
Ein Mitarbeiter zog vor Gericht, weil er nicht mehr geduzt werden wollte. Quelle: Pixabay

Wir dürfen Sie deshalb bitten, uns definitiv namens der Betriebsleitung zu erklären, dass der Mitarbeiter und die anderen Mitarbeiter angewiesen werden, in Zukunft diesen Wunsch des Mandanten zu respektieren und ihn deshalb korrekt mit dem «Sie» anzureden.

Der Arbeitgeber lehnte den Wunsch des Mitarbeiters und Klägers ab. Der Arbeitnehmer wiederum berief sich auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Bei dieser Fürsorgepflicht handelt es sich um eine Grundpflicht im Arbeitsverhältnis. Diese bestimmt und durchdringt das ganze Arbeitsverhältnis als solches.

Ansehen und soziale Geltung

Es stellt sich die Frage, ob das von dem Arbeitnehmer bemühte Persönlichkeitsrecht, dieses «Du» und dieses «Sie», ob das ausschlaggebend ist für sein Ansehen, für seine soziale Geltung. Das soziale Ansehen muss auch im Unternehmen beachtet werden. In unserem Fall war es so, dass das Arbeitsgericht Rheine in der 1. Instanz gesagt hat, dass in dem Verhalten keine Beleidigung zu sehen ist. Eine bloße Unhöflichkeit oder Nachlässigkeit oder Taktlosigkeit im Umgang mit einem anderen ist noch keine Erfüllung des Straftatbestandes der Beleidigung des § 158 StGB.

Die 2. Instanz hat ausgeführt, es muss individuell bewertet und auf den Umstand abgestellt werden.

Jetzt stellt sich der Mitarbeiter und das Gericht die Frage, wo könnte ansonsten ein solcher Anspruch herkommen? Sofern auf das Persönlichkeitsrecht abgestellt wird, stellt sich die Frage, ob dieses duzen überhaupt geeignet ist, eine Verletzung der Persönlichkeit, also dieser Personenwürde zu sein?

Gesetzbücher in einer Anwaltskanzlei zum Thema Duzen
Ist duzen überhaupt geeignet für eine Verletzung der Persönlichkeit? Quelle: Pixabay

Das Bundesverfassungsgericht hat 1990 geurteilt. Dieser Schutzbereich der Menschenwürde, der im Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz geregelt ist, ist allgemein schwierig zu bestimmen. Das Entscheidende ist die Frage, wie wird die Menschenwürde ausgefüllt? Wodurch wird sie angegriffen? Dazu sagt das Bundesverfassungsgericht, dass ein Eingriff immer dann gegeben ist, wenn eine Erniedrigung, eine Brandmarkung, eine Verfolgung oder eine Ächtung besteht.

Von diesen vier Kernpunkten ist hier nichts gegeben. Im Kernbereich der Menschenwürde wird der Kläger und Mitarbeiter, wenn er geduzt wird, wohl nicht verletzt. Also liegt keine Berührung dieser Menschenwürde vor und deswegen auch keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

Aber in der Tat muss abgewogen werden.

Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

Dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers steht das Recht des Unternehmens gegenüber. Dieses Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, was hier der Arbeitgeber bemühen kann; das wiederum ist durch den Artikel 14 GG geschützt. Der Unternehmer hat hier eine relativ große Freiheit. In unserem Fall hat sich das Unternehmen dazu entschieden, europaweit in den Filialen der Beklagten, dass alle geduzt werden, also nicht nur die Mitarbeiter untereinander, sondern auch die Kunden. Man will eine junge Mode etablieren und möchte ein junges Lebensgefühl suggerieren und dazu gehört schlichtweg das Duzen.

Meeting im Start-up Unternehmen, in dem Duzen zum Alltag gehört
In jungen oder internationalen Unternehmen gehört duzen oft zur Unternehmenskultur. Quelle: Unsplash

Das Gericht der 1. Instanz hat festgestellt, bei der Abwägung dieser beiderseitigen Interessenlagen erscheint dieser Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters doch relativ gering. Zumal der Mitarbeiter ja außerhalb der Arbeitszeiten seine Vorstellungen von persönlichen Umgangsformen und der Höflichkeit durchsetzen kann. Er muss das lediglich im Arbeitsverhältnis leben. Das einheitliche Unternehmenskonzept lässt sich nicht anders durchsetzen, wenn man jetzt solche Ausnahmen zulässt. Deswegen haben die Gerichte dem Mitarbeiter seinen Anspruch gegen das Unternehmen versagt und dem Unternehmen recht gegeben.

Diese Entscheidung ist im Ergebnis auch praxisnah. Wenn ich als Mitarbeiter in einem Unternehmen arbeite, wo sich alle duzen und mir gefällt das nicht, dann habe ich auch als Mitarbeiter die Möglichkeit, zu sagen, «das ist hier nicht mehr meine Philosophie, das sind nicht mehr meine Werte, dann such ich mir einen anderen Arbeitgeber, der vielleicht konventionellere Werte lebt und zu dem das dann passt.»

Mehr dazu im nachfolgenden Podcast «Einfach Recht» oder über die Website www.kanzlei-wulf.de

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.