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Seit acht Jahren lebe ich inzwischen in Berlin. Als Kleinstädter nimmt man die Großstadt oft kalt und anonym war. Erst schätzt und liebt man es. Die Berliner Schnauze ist hip, cool, frech und hat einen eigenen Charme. Doch irgendwann verlor ich die Begeisterung und vermisste ein wenig die freundlichen und herzlichen Nachbarn von früher. Genauso die liebevolle Bäckereifachverkaufende, die sich selbst am Sonntag über ihre Kunden freut.

Auch mit der Nachbarschaft war es ähnlich. Vor acht Jahren klingelte ich an jeder Tür im Hinterhaus, um mich freundlich vorzustellen und erntete sehr kritische Blicke. Man empfand mich wohl eher als aufdringlich und weniger höflich wie ich es beabsichtigt hatte. Später bei einem Glas Wein mit den berliner Freunden fragte ich vorsichtig, ob man das in Berlin nicht macht. Dafür ernte ich ein schallendes Lachen und ein «na in Berlin is dit eben so» Also nichts mit nachbarschaftsfreundlicher Netiquette bei Neueinzug.

Lange dachte ich: Na gut, Berlin ist eben so

In meiner zweiten Wohnung entwickelte sich das ganz ähnlich. Doch gab es da zwei sehr freundliche Nachbarn, bei denen man auch mal am Sonntag wegen eines Schlucks Milch oder für ein bisschen Mehl klingeln konnte.

Seit Januar dieses Jahres zogen wir, weil inzwischen zu zweit,  in eine neue Wohnung. Diesmal in ein riesiges Hochhaus mit vielen hunderten Nachbarn. Ich erwartete hier noch mehr Anonymität und wenig Solidarität, denn wir waren ja schließlich immer noch in Berlin. Aber genau hier überraschte mich die Stadt.

Schon beim Einzug, schaute die Nachbarschaft auf dem Flur neugierig aus der Tür, stellten sich vor und begutachten ihre neuen Nachbarn. Das war neu für mich. Mehr bekamen wir aber vorerst nicht mit. Wir stellten nur fest, dass das Durchschnittsalter im Haus, doch deutlich höher ist als unseres.

Was könnten wir für unsere Nachbarn tun?

Anfang März begann sich die Corona Situation immer weiter zu verschärfen. Die Situation und die Stimmung der Gesellschaft war zusehends angespannter. Wir überlegten, was wir tun können. Wir wollten die Menschen unterstützen, für die es in diesen Zeiten aus gesundheitlichen Gründen schwierig werden konnte.

Im Aushang eines Wohnhauses hängt der Flyer für die Einkaufs- und Besorgungshilfen für Nachbarn
Im Aushang unseres Wohnhauses boten wir Einkaufs- und Besorgungshilfe für unsere Nachbarschaft an. Quelle: Elena Wuzel

Wir schrieben kurzer Hand einen Aushang mit unseren Telefonnummern und boten Einkaufs- und Besorgungshilfe für die Nachbarn an, die Teil der Risikogruppe waren. Da es viele Bewohner in unserem Haus gibt, ließen wir auf dem Aushang Platz für weitere freiwillige Helfer, die sich mit ihren Kontaktdaten dazuschreiben konnten.

Die Reaktion der Nachbarn war rührend

Die Reaktionen der Nachbarn waren absolut überraschend. Viele der Nachbarn sprachen uns an, ob der Aushang von uns war und wie schön diese Geste sei. Innerhalb von drei Tagen schrieben sich zwei weitere Nachbarn mit auf unseren Aushang. Seit einer Woche gibt es einen weiteren Zettel mit weiteren Nummern und freiwilligen Helfern. Kurz vor Ostern klebte jemand einen großen Osterhasen dazu und wünschte allen frohe Ostern.

Heute Morgen öffneten wir unsere Wohnungstür und fanden vor der Haustür einen Umschlag mit Schokolade und einer Karte der Nachbarn mit Wünschen zu Ostern und ein «Herzliches willkommen» in der neuen Nachbarschaft.

Es freut mich und berührt mich zugleich, wie aus den kleinsten Gesten so viel Reaktion wächst. Es ist schön zu erleben, wie vor allem in Berlin Solidarität funktionieren kann und sich einfach auch durch das Denken an die Menschen nebenan entwickelt.

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