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Jeder träumt davon, über 100 Jahre alt zu werden – und das bei bester Gesundheit und im Kreise seiner Liebsten. Doch ist das überhaupt möglich? Ja. Das ist es. Als Blue Zones werden solche Orte bezeichnet.

Der costa-ricanische Demograf Luis Rosero-Bixby enthüllte im Jahr 2005 Zahlen, nach denen die Menschen in seiner Heimat, die das sechzigste Lebensjahr vollenden, die mit Abstand höchste Lebenserwartung weltweit haben. Eine interessante These. Das meinte auch die National Geographic Society in Washington und schickte Dan Buettner mit einem Team nach Mittelamerika, um diese Zahlen zu überprüfen. Buettner konnte die These schnell bestätigen und sogar den Ort, an dem die Menschen am ältesten werden, lokalisieren: die Nicoya-Halbinsel.

Die fünf Blue Zones

Der Forscher hatte Blut geleckt und suchte auf der ganzen Welt weitere Orte, an denen Menschen außergewöhnlich alt werden. Aus der AKEA-Studie war bekannt, dass die Männer auf Sardinien, insbesondere in den Provinzen Nuoro und Ogliastra im Osten der Insel, das höchste Alter weltweit erreichen. Am Ende hatte Dan Buettner folgende fünf Blue Zones identifiziert:

Blue Zones: Fünf Orte, an denen die Menschen am ältesten werden
Die fünf Blue Zones – da wo die Menschen am ältesten werden. Bild@myPfadFinder

Die hohe Dichte an Menschen in diesen Gebieten, die die 100-Jahres-Grenze überschritten haben, erstaunte die Wissenschaftler. Noch verblüffender war, dass sie dabei nahezu ausnahmslos vital und völlig gesund waren. Auf Okinawa beispielsweise, wo die Frauen älter werden als sonst wo auf unserem Planeten, fanden sie eine 102-Jährige, die sich täglich mit ihren vier Freundinnen trifft. Und das seit über 97 Jahren.

Blue Zones: Kamada Nakasato mit 102 Jahren
Kamada Nakasato, mit 102 Jahren, inmitten ihrer Freundinnen. [email protected]

Die Studie förderte interessante Zahlen ans Tageslicht: Die Krebsrate war rund 20 % niedriger als in den USA, Herzkrankheiten gar 50 %. Demenz war nahezu unbekannt. Noch spannender als diese Erkenntnisse erschien den Wissenschaftlern die Frage, warum diese Menschen das biblische Alter erreicht haben. Sie führten deshalb unzählige Interviews und notierten alles, was in den einzelnen Regionen als Grund für das hohe Alter infrage kam. Am Ende fütterten sie ihre Computer mit den Ergebnissen und machten sich auf die Suche nach Schnittmengen, auf die Suche nach den Ritualen, die alle untersuchten Kulturen gemein hatten. Und sie wurden fündig – am Ende des Filterprozesses kristallisierten sich neun gemeinsame Punkte heraus:

Natürliche Bewegung

Fitnessstudios sind in diesen Gebieten ebenso unbekannt wie Marathonläufe – der Körper wird bei der täglichen Arbeit ausreichend beansprucht. So wird zum Beispiel Teig mit der Hand geknetet, viele Strecken zu Fuß bewältigt und die Treppe benutzt, auch wenn ein Fahrstuhl zur Verfügung steht.

Ikigai

​In der japanischen Kultur spielt dieser Begriff eine Schlüsselrolle. Es ist «der Grund, warum man morgens aufsteht», das, was wir den Sinn des Lebens nennen. Das ist für jeden Japaner etwas sehr Persönliches. Und auch in den anderen Blue Zones finden sich solche Selbstfindungsprozesse.

Blue Zones: Natürliche Bewegung durch schwimmen
Der 94jährige Marion Westermeyer aus Loma Linda schwimmt täglich seine Runden. Bild@David McLain

Stressmanagement

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Alle untersuchten Kulturen hatten Mittel und Wege gefunden, Stress zu vermeiden. Chronischer Stress ist sogar flächendeckend nahezu unbekannt.

Hara Hachi Bu​

Diese goldene Regel des Konfuzius besagt, dass man essen soll, bis man 80 % des Sättigungsgefühls erreicht hat. Es kommt also nicht nur darauf an, was man isst, sondern auch darauf, wie man isst. Japaner z.B. servieren das Essen in der Küche und bringen es dann zum Tisch. Sie nutzen zudem deutlich kleinere Teller als wir.

Speisen …

Alle Hundertjährigen haben außergewöhnlich viele Hülsenfrüchte, insbesondere Bohnen, auf ihrem Speiseplan. Fleisch – vorwiegend Schweinefleisch – kommt nur fünf Mal im Monat auf den Tisch.

… und Getränke

Gelegenheitstrinker überleben Antialkoholiker. Wirkungsvoller ist das Glas Wein, wenn man es in geselliger Runde genießt.

Soziale Bindung

Das Gefühl, gleichberechtigtes Mitglied einer religiösen Gruppe – gleich welcher Glaubensrichtung – zu sein und diesen Glauben gemeinsam viermal im Monat zu praktizieren, verlängert die Lebenserwartung um 4 bis 14 Jahre.

Blue Zones - Lomo Linda
Zum 100. Geburtstag verlängerte Marge Jetton aus Loma Linda den Führerausweis um weitere fünf Jahre. Bild@David McLain

Familie

Ein Schlüssel zum Glück: Familienbande. Alte Menschen werden wegen ihrer Weisheit verehrt.

Zugehörigkeit

Besonders lang lebt man, wenn man zu einer sozialen Gruppe gehört, die gesunde Rituale lebt.​

Der letzte Punkt deckt sich mit den Ergebnissen der Framingham-Herz-Studie, die 1948 begann und bis 2005 andauerte. Sie lieferte wichtige Resultate über Ursachen von Arteriosklerose und koronarer Herzkrankheit – gemessen an der Bevölkerung einer ganzen Stadt (Framingham, Massachusetts). Man fand heraus, dass Menschen, deren beste Freunde übergewichtig sind, ein um 50 % höheres Risiko besitzen, selbst ebenfalls übergewichtig zu werden.

Jetzt stellt sich die Frage

Was können wir tun, um in den Genuss eines über 100 Jahre langen Lebens zu kommen? Wenn wir bedenken, dass die Gene nur 10 % unserer Lebenserwartung bestimmen, stehen unsere Chancen eigentlich recht gut. Die Umstände, in die die Bewohner der Blue Zones hineingeboren werden, machen es ihnen relativ leicht. Sie leben in bergigen Gebieten, die Landwirtschaft nahezu unmöglich machen. Sie sind durch ihre natürliche Umgebung gezwungen, diesen Lebensstil zu pflegen (die Angehörigen der religiös motivierten Gruppe in Kalifornien ausgenommen). Doch wenn wir uns die neun Punkte genauer ansehen, scheint ein Lebenswandel nicht unmöglich.

Stoffwechsel optimierte Ernährung
Gesunde, stoffwechel-optimierte Ernährung, genügend Wasser trinken, viel Bewegung und wenig Stress, ermöglichen ein langes Leben. Bild@David McLain

Natürlich leben wir in einer Industrienation und sind insbesondere für Stress deutlich anfälliger als naturverbundene Völker. Und die Statistik ist ebenfalls gegen uns: Nur einer von 5000 erreicht die magische Grenze von 100 Jahren. Ein 65-Jähriger altert 125-mal schneller als ein 12-Jähriger. Aber wir können es wenigstens versuchen. Und wenn wir am Ende nur 90 werden, dann aber gesund und glücklich einschlafen, haben wir in meinen Augen alles richtig gemacht.

Ihr Ralf Wuzel

In losen Abständen publiziere ich Auszüge aus meinem Buch «myPfadfinder – Jetzt bin ich mal dran!».

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