Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Was bedeutet das eigentlich – emotionale Freiheit? Ist es vielleicht die Möglichkeit, alles zu fühlen, was ich will, wann ich will, mit wem ich will, wie ich will? Kann ich in und mit meinen Gefühlen frei sein und handeln, und zwar in den unterschiedlichsten sozialen Kontexten, sei es in Beziehungen, im Beruf oder in einer Gemeinschaft? Das heißt, wenn ich mit Menschen zusammen lebe und arbeite? Oder bin ich nur dann emotional frei, wenn ich allein lebe und mir alles so einrichten kann, wie ich es will? Kann ich meine Gefühle kontrollieren oder überfallen sie mich bei jeder Gelegenheit?

In jedem Leben gibt es Situationen, in denen ich emotional gar nicht frei agiere und reagiere, sondern automatisch. Ich reagiere auf einen Reiz – den wunderbaren „Trigger“ – ohne nachzudenken, unmittelbar und unreflektiert, eben automatisch, und verhalte mich entsprechend. Wenn eine solche emotionale, heftige, automatische Reaktion auf eine Situation, eine Bemerkung oder auch nur einen Gesichtsausdruck oder Tonfall erfolgt, kann man in der Regel davon ausgehen, dass es sich um eine unbewusste Reaktion auf ein inzwischen vergessenes oder verdrängtes Ereignis aus der Vergangenheit handelt. Nicht alles, was wir erleben, ist vergessen und verschwunden, sondern nur im Augenblick nicht zugänglich, nicht präsent.

Intensive emotionale oder psychologische Reaktionen auf einen Reiz, sogenannte Trigger, sind oft auf Erfahrungen in der Vergangenheit zurückzuführen, Bildquelle: Jopwell/Pexels.

Bewusstwerden unserer Trigger

Das wurde mir bei einer Gelegenheit bewusst, als ich im Urlaub neben einem Mann am Tisch saß, der alles, aber auch wirklich alles besser wusste und immer Recht hatte – seiner Meinung nach. Er war früher Ausbilder gewesen und das erklärte natürlich einiges. Die Art und Weise, wie er seine Meinung und sein besseres Wissen kundtat, hat mich maßlos geärgert. Mir war die ganze Mahlzeit vergällt. Leider konnte ich ihm nicht aus dem Weg gehen, denn er würde den ganzen Urlaub neben mir am Tisch sitzen. Dass ich mich auch an einen anderen Tisch hätte setzen können, kam mir vor lauter Ärger gar nicht in den Sinn.

Ich hatte zur damaligen Zeit schon einiges über Persönlichkeitsentwicklung nicht nur gelernt, sondern auch bei mir angewandt, so dass ich wusste: ich musste bei mir suchen, warum mich dieses Verhalten so ärgerte, nicht beim Anderen. Andere Leute amüsierten sich über ihn und nahmen ihn auch nicht immer ernst. Aber ich ärgerte mich maßlos, ich hatte schlechte Laune, mir war der Abend verdorben, und dieser Mensch genoss seinen Urlaub!

Also ging ich in mich und fand nach langem Nachdenken und hektischem Hin- und Herlaufen heraus, dass ich mich früher genauso verhalten hatte! Es gab eine Zeit in meinem Leben, da habe ich jeden korrigiert, der ein Fremdwort oder die deutsche Grammatik falsch verwendet hat. Ohne nachzudenken, einfach weil ich es besser wusste und stolz darauf war! Ich fand das ganz normal. Wie das auf die Betroffenen wirkte, habe ich überhaupt nicht gemerkt und mir auch keine Gedanken darüber gemacht. Dass ich damals in meinem Umfeld nicht unbedingt beliebt war, habe ich überhaupt nicht damit in Verbindung gebracht. Klar, als Besserwisser kommt man nicht gut an. Dieses Verhalten war auf eine Situation in meiner Kindheit zurückzuführen, in der ich von meinem Vater die Botschaft bekam: Sei perfekt! Das war ich natürlich nicht, aber wenigstens konnte ich mein (perfektes) Wissen unter Beweis stellen!

Selbstreflektion hilft dabei eigene Reaktionsmuster zu erkennen, Bildquelle: Andrea Piacquadio/Pexels.

Nachdem ich das für mich erkannt hatte, konnte ich diesen Herrn neben mir zwar nicht gerade mit Sympathie, aber mit viel mehr Gelassenheit betrachten. Nach einiger Zeit konnte ich mich sogar darüber amüsieren und ich war und bin froh, dass ich aus (fast) jeder „Besserwisserei“ ausgestiegen bin. Ich merke auch heute noch fast jeden Fehler, was Fremdwörter und Grammatik betrifft, aber ich fühle mich nicht mehr aufgerufen, alles und jeden zu korrigieren. Das macht mich ein Stückchen freier. Und für eine (Sozial-)Pädagogin ist das schon ein Riesenschritt!

Entscheidungsfreiheit zurückgewinnen

Emotionale Freiheit hat für mich inzwischen viel damit zu tun, nicht mehr automatisch reagieren zu müssen. Ich schreibe bewusst „müssen“, weil es oft Situationen gibt, in denen ich früher unüberlegt reagiert habe. Jetzt kann ich in Situationen, die mich auslösen, erst einmal tief durchatmen, mir dieses Gefühl anschauen, es wahrnehmen – meistens wollen diese unangenehmen Gefühle ja nur wahrgenommen werden – und ein, zwei Sekunden nicht reagieren. Das verschafft mir etwas Zeit, um nicht sofort in meinen Automatismus mit dem immer gleichen Verhalten zu verfallen. Ich kann dann blitzschnell überlegen, welches Verhalten mir in der aktuellen Situation dienlich ist. Es kann auch spannend sein, gar nicht zu reagieren. Denn die meisten Menschen halten eine längere Gesprächs- oder Reaktionspause nicht aus und reden dann von sich aus einfach weiter. Und meine automatische Reaktion ist unterbunden.

Dieses kurze, bewusste Innehalten macht mich souveräner im Umgang mit den Erwartungen anderer Menschen, innerlich freier von ihren Reaktionen auf mich und von ihren Erwartungen an mich. Das ist die Freiheit, die ich meine. Ich kann entscheiden, wie ich mich fühlen möchte. Ich arbeite daran, meine Gefühle für mich zu nutzen, statt sie gegen mich arbeiten zu lassen. Denn meist werden eher negative Gefühle und entsprechende Reaktionen ausgelöst. Ich möchte aber innerlich immer freier werden und so sprechen, denken und handeln, wie es meinem inneren Wesen entspricht. Das muss ich noch üben, aber ein Anfang ist gemacht und es fühlt sich gut an. Die Luft der emotionalen Freiheit riecht wunderbar!

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.