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Stell dir vor, du stehst mit einem vollen Tablett in der Hand. Gläser, Teller, Besteck – alles ist perfekt ausbalanciert, aber es wiegt schwer. Plötzlich stolpert jemand in dich hinein, und du merkst, dass alles ins Wanken gerät. Ein Freund bietet an, dir zu helfen, aber du zögerst. „Ich schaffe das schon!“ hörst du dich sagen, obwohl du innerlich weißt, dass dir eine helfende Hand guttun würde.

Hilfe anzunehmen, fühlt sich oft an wie ein Eingeständnis von Schwäche – besonders, wenn wir diejenigen sind, die sonst alles im Griff haben. Aber genau darin liegt eine der größten Hürden: Es ist nicht die Hilfe, die schwer ist, sondern unser Stolz, unser Bedürfnis nach Kontrolle oder unsere Angst, andere zu belasten.

Warum fällt es uns so schwer, Hilfe anzunehmen?

1. Unser Selbstbild als Hindernis

Viele von uns haben ein Bild von sich im Kopf: stark, unabhängig, unermüdlich. Dieses Selbstbild hält uns davon ab, Unterstützung zu akzeptieren, weil es uns schwach oder unfähig erscheinen lässt. Gerade in der Pflege von Angehörigen glauben wir oft, dass es „unsere Aufgabe“ ist und dass wir versagen, wenn wir es nicht allein schaffen.

2. Schuldgefühle und die Angst, zur Last zu fallen

Wie oft hören wir Sätze wie: „Du hast doch schon genug um die Ohren, ich will dir nicht auch noch zur Last fallen“? Schuldgefühle – egal ob bei uns oder bei der Person, die Hilfe braucht – blockieren uns oft. Wir vergessen dabei, dass Hilfe keine Last, sondern eine Brücke sein kann: eine Verbindung zwischen Menschen.

3. Ungefragte Ratschläge und falsche Hilfe

Vielleicht hast du es selbst schon erlebt: Du erzählst von deinen Herausforderungen, und anstatt wirklich zuzuhören, wird dir gleich ein Ratschlag vor die Füße geworfen. „Was du tun solltest, ist …!“ Das fühlt sich selten hilfreich an, weil es unsere Kompetenz infrage stellt. Stattdessen wünschen wir uns Empathie und echtes Interesse.

Wie wir lernen können, Hilfe anzunehmen

Hilfe anzunehmen und anzubieten ist ein Tanz, bei dem beide Partner den richtigen Rhythmus finden müssen. Hier sind drei Schritte, die helfen können, diesen Tanz zu meistern:

1. Den richtigen Moment spüren

Hilfe ist wie ein Regenschirm: Wenn sie zu früh kommt, steht man nur umständlich mit einem Schirm in der Sonne. Wenn sie zu spät kommt, ist man bereits nass bis auf die Haut. Als Helfende ist es wichtig, den richtigen Moment zu erkennen – und als Empfangende, sich zu erlauben, rechtzeitig um Unterstützung zu bitten.

2. Zuhören statt belehren

Manchmal ist das größte Geschenk, das wir geben können, einfach da zu sein. Zuhören, ohne Lösungen zu präsentieren, ist eine Art, echte Verbindung zu schaffen. Statt „Was du machen solltest, ist …“ könnte man sagen: „Ich sehe, dass das gerade viel für dich ist. Was würde dir helfen?“

3. Hilfe konkret definieren und klar kommunizieren

Hilfe muss nicht groß und überwältigend sein. Einmal die Einkäufe übernehmen, eine Stunde die Pflege abnehmen oder einfach einen Kaffee zusammen trinken – diese kleinen Gesten können einen großen Unterschied machen. Und als Empfangende dürfen wir klar sagen, was wir brauchen: „Kannst du mich morgen kurz bei Mama ablösen?“ oder „Ich bräuchte jemanden, der sich mal anhört, was mich gerade beschäftigt.“

Bildquelle: Tumisu/Pixabay.

Ein Perspektivwechsel: Hilfe ist keine Schwäche, sondern Stärke

Hilfe anzunehmen ist wie das Bild mit dem Tablett: Es zeigt, dass du klug genug bist, zu erkennen, dass ein zweites Paar Hände das Gewicht leichter macht. Es hat nichts mit Schwäche zu tun, sondern mit der Fähigkeit, sich auf andere zu verlassen – und Vertrauen zu schenken.

Gerade im Pflegealltag, wo man so oft das Gefühl hat, selbst auf der Strecke zu bleiben, ist es wichtig, sich daran zu erinnern: Du bist nicht allein. Es gibt Menschen, die für dich da sein wollen. Und indem du Hilfe annimmst, schenkst du ihnen die Chance, dir zu zeigen, wie viel du ihnen bedeutest.

Ein Beispiel aus dem Alltag

Kerstin pflegt ihre Mutter seit drei Jahren zu Hause. Die Tage sind voll, die Nächte oft unterbrochen, und die To-do-Liste scheint endlos. Als ihre Schwester neulich sagte: „Sag Bescheid, wenn ich mal helfen soll“, antwortete Kerstin reflexartig: „Schon okay, ich schaff das.“ Doch in Wahrheit schaffte sie es kaum noch.

Erst als sie eines Abends völlig erschöpft war, rief sie ihre Schwester an: „Kannst du am Wochenende kommen und Mama für ein paar Stunden übernehmen? Ich brauche Zeit für mich.“ Ihre Schwester war sofort zur Stelle und sagte später: „Ich war so froh, dass du endlich gefragt hast.“

Kerstin merkte: Es hatte nichts mit Schwäche zu tun, sondern mit Selbstfürsorge. Und sie hatte ihrer Schwester die Möglichkeit gegeben, eine echte Stütze zu sein.

Hilfe annehmen – ein Zeichen von Liebe und Vertrauen

Am Ende geht es nicht darum, immer alles allein schaffen zu müssen. Es geht darum, Beziehungen zu stärken, einander zu vertrauen und die Last zu teilen. Hilfe anzunehmen bedeutet, sich selbst und anderen zu zeigen: „Ich bin es wert, unterstützt zu werden.“ Und das ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche.

Wie denkst du darüber? Wann war das letzte Mal, dass du Hilfe angenommen hast? Oder hättest du es gebraucht, hast aber gezögert? Teile deine Gedanken in den Kommentaren oder höre unseren Podcast zum Thema „Hilfe annehmen und Selbstfürsorge“ und lass uns diesen Dialog weiterführen. Gemeinsam können wir lernen, die Stärke in der Unterstützung zu sehen.

Ihr
Daniel De Paola


(C) Titelbild: geralt/Pixabay

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